Rubriken: Bildbearbeitung, Bildgestaltung

"Unwirkliche" Fotografie – Das Richtige im Falschen, Teil 2

2007-09-10 Eigentlich bildet die Fotografie mehr oder weniger nur das Vorhandene und Sichtbare ab. Dennoch kann man mit dem Licht ebenso schreiben, wie der Maler seine Bilder mit dem Pinsel gestaltet. Auch mit der Kamera und in der (digitalen) Dunkelkammer kann man etwas Neues, bis dahin Ungesehenes erschaffen. Mit etwas Geschick entstehen Szenen, die scheinbar alle Grenzen und Gesetze der Realität auflösen. Zwar verliert die Fotografie dabei ihren dokumentarischen Charakter – dafür gewinnt sie aber viele künstlerische Freiheiten hinzu. In diesem zweiten Teil unseres Fototipps geht es um die komplexen Werkzeuge in der geeigneten Software.  (Franko Hoffmann-Samaga)

Bild 1. Einfache Änderungen an der Textur lassen sich leicht realisieren und sorgen dennoch für wirkungsvolle surreale Effekte [Foto: Franko Hoffmann-Samaga]Das wichtigste Werkzeug für die Erstellung von Fotomontagen bleibt natürlich eine Digitalkamera. Man sollte jedoch darauf achten, dass die Kamera das Bild nicht so stark aufbereitet (Schärfung, Rauschreduzierung, Tonwertkorrektur etc.). Eine Nachbearbeitung am PC ist dann oft nicht mehr sinnvoll. Im Idealfall liegen die Ausgangsbilder im RAW-Format vor, und alle Möglichkeiten der Bildbearbeitung stehen noch offen. Außerdem benötigt man eine leistungsfähige Bildbearbeitungssoftware, die möglichst viele Freiheiten lässt. Ideal ist ein Programm, welches Ebenen und Ebenenmodi (wie Überlagern, Multiplikation, Abdunkeln) genauso unterstützt wie Masken und Kanäle. Fortgeschrittene Selektionswerkzeuge (Pfade, halbautomatische Funktionen etc.) sollten ebenfalls zum Funktionsumfang gehören wie die Arbeit mit Filtern, Transparenzen und Transformationen. Selbstverständlich sind Programme wie Photoshop hervorragende Arbeitsmittel. Dennoch sollten gerade am Anfang auch preisgünstigere Alternativen wie das kostenlose, aber nicht weniger leistungsfähige GIMP ausreichend sein. Letzteres wurde auch für die hier gezeigten Beispiele verwendet.

In der Praxis kann man zwei Arten der surrealen Bildbearbeitung unterscheiden: 1. Alle Änderungen werden an einem Bild vorgenommen. Dabei werden Texturen, Formen, Farben, Lichter, Details, geometrische und perspektivische Verhältnisse der fotografierten Objekte verändert. 2. Mehrere Fotografien bzw. Ausschnitte daraus werden zu einem neuen Bild zusammengefügt (Collage). Am Anfang sollte man sich darauf konzentrieren, vorhandene Fotografien zu verfremden, da dann nicht auf die komplizierten Beleuchtungsverhältnisse und die Perspektiven von eingefügten Objekten geachtet werden muss. Außerdem kann man sich dann anhand der Verfremdung vorhandener Fotografien in Ruhe mit den Werkzeugen der Software vertraut machen.

Bild 2. Die psychedelische Gans entstand durch das Zusammenspiel von Lichteffekten, Filtern, Ebenenmodi und den entsprechenden Masken [Foto: Franko Hoffmann-Samaga]Grundsätzlich sind alle Fotos für eine Verfremdung geeignet – erleichtert wird die Arbeit jedoch, wenn die Ausgangsbilder bereits in einer guten technischen Qualität vorliegen. Ideen für eine Verfremdung findet man sicher beim Durchstöbern der eigenen Bildersammlung – oder beim schlichten Spielen mit den Möglichkeiten der Software. Man sollte sich aber vor dem Beginn der Arbeit ein Ziel setzen, was mit dem Bild erreicht und ausgesagt werden soll – sonst verliert man sich zu leicht in den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten!

Für den Anfang kann zum Beispiel die Struktur oder die Textur einer Oberfläche geändert werden. Man denke nur an die Objekte von Joseph Beuys, der alltägliche Gegenstände mit Fell oder Filz bezog und daraus etwas Unheimliches, Fremdes machte. Genauso können fotografierte Objekte neue Oberflächen und damit eine neue Aussage erhalten. In Bild 1 wurden die beiden Säulen rechts und links der Figur mittels des Polygonwerkzeugs selektiert und über eine Ebenenmaske freigestellt. Für die linke Säule wurde anschließend ein Blattmuster eingefügt, welches den Hintergrund mithilfe des Ebenenmodus "Multiplikation" überlagert. Dadurch werden die Lichtverhältnisse der ursprünglichen Säule auch für die neue Textur beibehalten. Sollte das Ergebnis Bild 3. Wilhelm Tell ist eine Fotomontage aus 5 Einzelbildern  [Foto: Franko Hoffmann-Samaga]in Farbe, Helligkeit und Kontrast noch nicht zufriedenstellen, kann dies z. B. über Gradations- und Farbkorrekturen an die Wünsche angepasst werden. Die rechte Säule hingegen wurde komplett in eine neue Ebene kopiert. Nun konnte mit einem Relief-Filter die Struktur verstärkt werden. Wichtig war dabei, dass die Beleuchtungsrichtung für den Relieffilter mit der des realen Lichtes übereinstimmte.

Solch einfache Bildänderungen können nun mehr und mehr ausgeweitet und miteinander kombiniert werden. Das Foto von der Gans in Bild 2 wurde in mehreren Schritten (Ebenen) so verfremdet, dass es zu einem recht psychedelisch anmutenden (das Bewusstsein verändernden) Bild geworden ist. Die einzelnen Effekte, wie der Radiale Weichzeichner, Flares, Farbverläufe- und -verfälschungen wurden in den jeweiligen Ebenen auf zuvor maskierte Bildbereiche angewendet. Meist erzielt man dabei bessere Ergebnisse, wenn die Masken leicht weich zeichnen – dadurch werden allzu plötzliche Übergänge vermieden.

Bild 4. Derselbe Engel aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert bietet eine hervorragende Grundlage für die verschiedensten Collagen  [Foto: Franko Hoffmann-Samaga]Wenn man mit den ersten Ergebnissen zufrieden ist, wird man bald echte Collagen erstellen wollen. Dabei ist es extrem wichtig, dass die einzufügenden Objekte in Perspektive, Lichteinfall und Farbton sehr gut auf das Gesamtbild abgestimmt sind. Bereits kleine Unstimmigkeiten fallen auf und zerstören die Wirkung. Bild 3 zeigt ein Beispiel einer kleineren Fotomontage, die aus insgesamt fünf Einzelbildern zusammengesetzt wurde. Die einzelnen Objekte wurden mit dem Polygonwerkzeug selektiert, eingefügt und über Farb- und Kontrastkorrekturen an die düstere Stimmung des Bildes angepasst.

Wer vorhat, häufiger Collagen am PC zu erstellen, für den lohnt es sich, eine Objektbibliothek anzulegen. Dafür fotografiert man interessante Objekte aus möglichst vielen Perspektiven und bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Später ist es dann leicht, geeignete Objekte für eine Montage auszuwählen, freizustellen und ins Kunstwerk einzufügen. In Bild 4 wurde eine Engelskulptur aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert und konnte so für zwei verschiedene Collagen als Objekt verwendet werden.

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